Georg und Sarah leben mit ihrem eineinhalb jährigen Sohn Ludwig und der Hundedame Jura in Thalheim. Was für sie ganz normal ist, können sich viele andere Familien abseits der Großstadt nicht vorstellen: ohne eigenes Auto auszukommen. Elektro-Transportrad, E-Bike oder „Bahnhofsrad“, Klimaticket für den öffentlichen Verkehr oder E-Carsharing? Aus dieser breiten Palette wählen zu können, empfindet Georg als Gewinn, nicht als Verzicht. Im Interview gibt er uns Einblicke in ihren autolosen Familienalltag. Er verrät, welche Rolle dabei das Radfahren spielt und worauf sie nicht mehr verzichten möchten.
Zur Familie gehören auch:
Ludwig Arik Wiesinger, fast 2 Jahre, „Chef des Hauses“
und
Jura, 12 Jahre, Australian Shepherd-„Hundedame in Pension“
Georg, kannst du beschreiben, wie ihr als Familie im Alltag unterwegs seid? Welche Rolle spielt dabei das Radfahren?
Wir verwenden das Fahrrad beide für den Arbeitsweg: Sarah ins Altenheim nach Wels, ich zum Zug nach Linz. Weiters für allerhand Wege, die wir mit Ludwig zurücklegen: zu seinen Großeltern, zum Wasserspielplatz in Thalheim, zum Tierpark Wels, usw. Da fahren wir dann mit dem Lastenrad. In Thalheim und Wels nutzen wir oft Schleichwege, um den stark befahrenen Straßen auszuweichen.
Gerade wenn wir mit dem Lastenrad unterwegs sind, fühlen sich manche Autofahrer:innen auf schmalen, stark befahrenen Straßen zu waghalsigen Überholmanövern hingerissen oder nehmen uns die Vorfahrt. Da fahren wir lieber entlang der Traun oder eben auf wenig befahrenen Straßen. Toll ist in diesem Zusammenhang der Trodatsteg als exklusive Fußgänger- und Radbrücke. Zug und Bus nutzen wir für Tagesausflüge bzw. ich für den Weg ins Büro.
Nun haben wir uns beide das österreichische Klimaticket gekauft, wodurch sich wieder neue Möglichkeiten auftun. Unser Sohn Ludwig ist kein großer Freund von weiten Autofahrten. Da ist es mit Rad zum Zug und dann vor Ort zu Fuß wesentlich entspannter. In den letzten Wochen haben wir etwa Tagesausflüge ins Almtal oder nach Passau gemacht.
Was ist für dich das Schöne am Radfahren?
Man sieht einfach soviel mehr als im Auto. Als naturbegeisterter Mensch habe ich immer wieder tolle Erlebnisse beim Radfahren und entdecke meine Gemeinde mit ganz anderen Augen als aus dem Auto heraus.
Weniger schön als vielmehr praktisch ist, dass man mit dem Rad viel näher an manche Ziele herankommt, als mit dem Auto: sei es direkt zum Eingang des Welldorado, in die Welser Innenstadt zum Einkaufen, usw. Und man spart sich die lästige Parkplatzsuche.
Welche Fahrzeuge habt ihr und welches Zubehör ist wichtig für eure Mobilität?
Wir haben ein E-Lastenrad, ein E-Bike sowie jeweils ein altes Fahrrad zum Stehenlassen am Bahnhof. Besonders bereichernd empfinden wir das Regenverdeck am Lastenrad, welches das ganze Jahr montiert ist. Damit ist es bei jeder Wetterlage möglich Kind und Hund warm und trocken ans Ziel zu bringen. Natürlich haben wir für Ludwig einen Kindersitz im Lastenrad mit 3-Punkt-Sicherung. Das Lastenrad hat noch zwei Satteltaschen für das ganze Kleinzeug, das wir immer dabei haben: Wechselgewand, Regenjacke, Sattelschoner, ein kleines Reparaturset, Erste-Hilfe-Koffer.
Am E-Bike haben wir fix einen Korb montiert – ebenfalls für persönliche Dinge zum Mitnehmen. Für das E-Lastenrad und das E-Bike haben wir ein extra starkes Kettenschloss, welches in Diebstahltests am besten abgeschnitten hat. Die beiden Bahnhofs-Räder kommen ohne irgendetwas aus – Hauptsache es stiehlt sie niemand.
Da wir doch einige Höhenmeter zurücklegen müssen bzw. auch eine Kreuzung, wo es recht steil bergauf geht, passieren, haben wir in einen extra-starken Narbenmotor beim Lastenrad investiert. Es war ein Sondereinbau und ist standardmäßig nicht verfügbar. Der Motor und das Einspeichen haben zusammen etwa € 1.000,- gekostet. Es zahlt sich für uns aber aus, da wir nur so beladen bergauf anfahren können.
Für viele Familien ist Mobilität stark an das Auto geknüpft. Bei euch ist das anders. Hattet ihr Zweifel, ob sich ein Alltag ohne eigenes Auto bewerkstelligen lässt?
Seit 2018 wohnen Sarah und ich in Thalheim bei Wels und sind autolos. Der Grund dafür war, dass Sarahs Auto kaum mehr genutzt wurde und als es kaputt ging, hat sich die Reparatur nicht mehr ausgezahlt. Sarah hatte über 10 Jahre Autos, allerdings war sie nie besonders glücklich damit, weil es immer ältere Modelle zum „Zamfahren“ waren, die meist recht reparatur-intensiv waren. Ohne Auto wäre früher ihr Arbeitsweg zu den Turnusdiensten im Altenheim aus dem Almtal nach Wels nicht bewältigbar gewesen.
Ich hatte noch nie ein Auto – hätte während meiner Schulzeit im Internat in NÖ und danach während des Zivildienstes in Linz und des Studiums in Wien nie eins gebraucht. Für mich bestanden nie Zweifel, dass es ohne Auto funktioniert, weil ich es „mit Auto“ gar nicht gekannt habe.
Und wie war es für Sarah?
Für Sarah war es zu Beginn schon eine Umstellung. Vor allem weil sie die Fahrzeit nach dem Dienst immer auch zum „Abschalten“ verwendet hat. Das hat sich jedoch sehr schnell geändert, weil sie gemerkt hat, dass sie beim Nach-Hause-Radeln die Arbeit viel besser vergessen kann. Im Rückblick denkt sie sich öfter, dass speziell die Fahrten nach den langen Nachtdiensten nicht ganz ungefährlich waren, wenn sie total übermüdet gefahren ist.
Der große Vorteil und mit ein Grund, warum wir kein eigenes Auto haben, ist, dass das Thalheimer E-Car-Sharing Angebot TIM einen Standort ca. 50 m von uns entfernt hat. Wir konnten somit nahtlos vom Privat- zum Car-Sharing-Auto umsteigen. Auch wohnen meine Eltern nur rund 1,5 km entfernt und wir können uns von ihnen auch meistens ein Auto ausborgen, wenn wir einmal ein paar Tage wegfahren wollen. Das würde theoretisch auch mit dem E-Car-Sharing-Auto gehen, aber damit würden wir es für andere Nutzer:innen längerfristig blockieren, was der Fair-Use Bedingung widerspricht.
Verändert haben sich sicherlich unsere Finanzen: für das Car-Sharing geben wir ca. € 1.500,- im Jahr aus. Da sind schon alle Kosten inkl. Strom-Laden, Services, Versicherungen, Voll-Kasko, Reifen, und, und, und enthalten. Das ist kein Vergleich dazu, was Sarah früher alleine für ihren Privat-PKW ausgegeben hat.
Kannst du dich an eine besondere Radfahrsituation erinnern oder irgendeine Geschichte?
Eine besonders schöne Anekdote ist, dass eine Nachbarin sich einmal unser Lastenrad ausgeborgt hat, als sie mit ihrem 7-jährigen Sohn ins Krankenhaus musste. Der Kleine hat sich die Hand gebrochen und der Gips musste getauscht werden. Da es rundum das Krankenhaus Wels nur Kurzparkzonen gibt bzw. ein Parkhaus zum Zahlen, wollte sie einmal probieren ob es mit dem Rad praktischer ist. Sie war ganz begeistert, weil sie während der langen Wartezeit nicht raus musste um die Parkuhr nachzustellen und ihr Kind nicht alleine im Warteraum bleiben musste.
Dem Kleinen hat es auch sehr viel Spaß gemacht, auch wenn er, jetzt wo der Gips runter ist, wieder lieber selbst mit dem Rad fährt. Das zeigt schön, dass im städtischen Bereich das Rad oft wirklich Vorteile gegenüber dem Auto hat. So nahe ans Ziel, wie mit dem Rad, kommt man mit dem Auto (fast) nirgends.
Hast du einen Tipp für Familien, die es gerne einmal ohne eigenes Auto probieren wollen?
Unser Tipp wäre: überlegen, welche Art der Mobilität für das Erreichen der täglichen Ziele notwendig ist. Kann man alles zu Fuß oder öffentlich erreichen oder gibt es doch Dinge, die man mit dem Rad anfahren muss? Meist wird man nicht umhinkommen in die Rad-Mobilität zu investieren – sei es ein Lastenrad oder ein Fahrradanhänger für die Kinder. Nicht mehr verzichten möchte ich auf unseren E-Antrieb. Da sollte man nicht sparen, damit man, wenn einige Höhenmeter dazukommen, auch vollbeladen noch bergauf wegfahren kann.
Auch zu prüfen, wo es das nächste Car-Sharing-Angebot gibt, lohnt sich. Selbst wenn man das Auto dann selten nutzt, so ist es für manche Situationen doch sehr praktisch. Falls es kein Angebot gibt, kann man selbst aktiv werden: es muss auch nicht immer über einen Verein organisiert sein. Öfter kann man sich ja auch mit Eltern, Geschwistern, Nachbar:innen ein Auto teilen.
Über unser Lastenrad haben wir schon sehr viele interessante Gespräche geführt. Besonders freut es uns, dass ein befreundetes Paar sich statt des Zweitautos ebenfalls ein E-Lastenrad angeschafft hat und ein weiteres Paar gerade am überlegen ist.
Fällt dir sonst noch was Interessantes oder Wissenswertes ein?
Ein paar Zahlen vielleicht: Die Anschaffung des E-Lastenrads hat uns etwa € 4.000,- , abzüglich Förderung, gekostet. Für das E-Bike, welches ich als Jobrad nutze, zahlten wir, abzüglich Förderungen, etwa € 1.500,-. Im Jahr geben wir rund €150,- für Radservices aus: als Alltagsfahrzeuge mit dem wir auch unseren Sohn transportieren, müssen die Räder einwandfrei funktionieren! Das Car-Sharing schlägt mit rund € 1.500,- zu Buche. Die Klimatickets für Sarah und mich haben gemeinsam € 1.900,- gekostet.
Je nachdem wie lange wir die Räder ohne große Reparaturen nutzen können, geben wir daher grob geschätzt € 2.000,- bis € 2.500,- pro Person und Jahr für unsere Mobilität aus. Bitte vergleicht das einmal mit den Kosten für einen Pkw!
So nahe ans Ziel, wie mit dem Rad, kommt man mit dem Auto fast nirgends.
Georg Wiesinger
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- Im Interview wurde das Jobrad erwähnt – hier gibt’s mehr Infos zur Jobrad-Aktion der Radmodellregion Wels Umland
- Die Anschaffung von (Elektro-)Transporträdern wird vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) gemeinsam mit dem österreichischen Sportfachhandel gefördert. Die Unterstützung beträgt in Summe 900 Euro pro Lastenrad oder Elektro-Lastenrad. Weitere Informationen zur Förderung
- Tipps für den Hundetransport am Fahrrad
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